Sofja Kowalewskaja – Mathematikerin und schillernde Projektionsfigur

Doktorarbeit in der Mathematik untersucht, wie sich der Blick auf die russische Mathematikerin zu verschiedenen Zeiten gewandelt hat.

11.02.2014

Sie war Mathematikerin, Schriftstellerin und Nihilistin – und eine der prominentesten Frauenfiguren in der Wissenschaftsgeschichte. Sofja Kowalewskaja hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen zahlreiche Widerstände, aber auch mit großer Unterstützung durch Kollegen als Mathematikerin behauptet und schließlich einen Lehrstuhl an der Universität Stockholm erhalten, auf dem sie als erste Mathematik-Professorin in Nordeuropa auch Vorlesungen halten konnte. „Es gibt zwar einige Frauen, die zur damaligen Zeit mit Sondergenehmigungen promovieren konnten“, erklärt Eva Kaufholz-Soldat von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Aber Kowalewskaja überstrahlt alle.“

Eva Kaufholz-Soldat geht in ihrer Doktorarbeit am Institut für Mathematik der Frage nach, was Sofja Kowalewskaja so interessant macht, dass mannigfach über sie geschrieben wurde und dass sie von unterschiedlichen und teils konträren Seiten vereinnahmt wurde, um irgendwelche Ideen oder Ideologien zu transportieren. Während zum Beispiel die Frauenbewegung im 19. Jahrhundert Kowalewskaja als Heroin zeigt, wird ihr früher Tod mit 41 Jahren von der konservativen Gegenseite als Indiz gewertet, dass diese Art von Tätigkeit und Lebenswandel für Frauen doch nur schädlich sei. „Sofja Kowalewskaja wird über die Darstellung ihrer mathematischen Arbeiten hinaus in verschiedenen Kontexten porträtiert, sie wird konstruiert und instrumentalisiert. Ein Blick auf die Veröffentlichungen über Kowalewskaja ist gleichzeitig ein Blick auf die jeweilige Epoche“, so Eva Kaufholz-Soldat.

Sofja Wassiljewna Kowalewskaja, geboren1850 in Moskau, hat sich in jungen Jahren Mathematik im Selbststudium und Privatunterricht angeeignet und ging 1869 nach Westeuropa, um ein universitäres Studium in naturwissenschaftlichen Fächern aufzunehmen. Sie promovierte 1874 in Göttingen, verbrachte anschließend einige Zeit mit ihrem Ehemann in Russland und kam schließlich nach Westeuropa zurück, wo sie in die Pariser Mathematische Gesellschaft aufgenommen und von der Universität Stockholm zunächst als Privatdozentin und dann als ordentliche Professorin akzeptiert wurde.

Kaufholz-Soldat wird das Leben der schillernden Mathematikerin nicht in einer neuen Biografie aufrollen, sondern analysieren, wie zu unterschiedlichen Zeiten über sie geschrieben und berichtet wurde: zu ihren Lebzeiten, kurz nach ihrem Tod und in den letzten 30 Jahren, als u.a. eine Biographie von Ann Hibner Koblitz die moderne Rezeption prägte. „Wir können dabei feststellen, dass der jeweilige historische Kontext das Bild von Kowalewskaja verändert hat“, so die Mainzer Mathematikhistorikerin. Aber an dem disparaten Bild hat Kowalewskaja auch selbst mitgewirkt. „Sie bezeichnete sich selbst einmal als Chamäleon, und sie hat völlig unterschiedlich auf Leute gewirkt.“ Auch dies trägt dazu bei, dass sie zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Seiten als Projektionsfigur genutzt wurde – und nicht einfach nur als Mathematikerin der ersten Stunde porträtiert wird.

Eva Kaufholz-Soldat ist als Doktorandin in der Mathematik Teilnehmerin des Ada-Lovelace-Programms (ALP) zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen in den Naturwissenschaften und der Mathematik. Im Rahmen dieses Programms steht eine erfahrene Person (Mentor oder Mentorin) einer jüngeren, weniger erfahrenen Person während eines Jahres unterstützend und beratend zur Seite. Mentor von Eva Kaufholz-Soldat ist Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher, Initiator des Mitmach-Museums Mathematikum in Gießen. Das Programm wird gefördert vom Europäischen Sozialfonds und den Fachbereichen Physik, Mathematik, Informatik und Chemie, Pharmazie, Geowissenschaften sowie Biologie der Universität Mainz.