Rene Gerritsma erhält für Quantensimulationen einen ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro

Mainzer Physiker wird mithilfe eines Quantensimulators ein Modell zum besseren Verständnis von Festkörpern aufbauen

04.07.2013

Dr. Rene Gerritsma von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erhält für Forschungsarbeiten zur Quantensimulation mit ultrakalten Atomen und Ionen eine hochbegehrte Förderung des Europäischen Forschungsrats. Sein Projekt "Hybrid Atom-Ion Quantum Systems" wird mit einem ERC Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro unterstützt. Das wichtigste Ziel des Projekts ist es, Eigenschaften eines Festkörpers zu simulieren, indem ein hybrides System aus kalten Ionen in Wechselwirkung mit einem entarteten Fermi-Gas als Modell aufgebaut wird.

Quantensimulatoren wurden bereits vor mehr als 30 Jahren von Richard Feynman vorgeschlagen, um die Eigenschaften großer Quanten-Vielteilchen-Systeme zu untersuchen. Denn bei der Berechnung solcher Systeme versagt jeder klassische Computer, weil der komplexe Quantenzustand schon eines vergleichsweise kleinen Systems aus 50 Elektronen einen unrealistisch großen Arbeitsspeicher erfordern würde. In diesem Beispiel müssten 250 komplexe Zahlen gespeichert werden, was vielen Billiarden Bits entspricht. Ein Feynman'scher Quantensimulator hingegen könnte diese Aufgabe bewältigen, um etwa die Eigenschaften eines Festkörpers zu erforschen.

Festkörper bestehen aus einem periodischen Gitter aus positiven Atomrümpfen umgeben von einem entarteten Fermi-Gas aus Elektronen. Die Leitfähigkeit eines Festkörpers hängt von den Wechselwirkungen dieser Elektronen und den Gitteratomen ab, wobei die Schwingungsbewegungen des Gitters einen wichtigen Einfluss haben. Während bereits Phasenübergänge im Festkörper, z.B. der Übergang zwischen einem Mott-Isolator und einem Supraleiter, mit einem Quantensimulator aus ultrakalten Atomen studiert werden konnten, gibt es noch kein atomares Modellsystem, in dem der Einfluss von Gitterschwingungen auf die Elektronen simuliert werden kann. Die Kopplung von Elektronen mit quantisierten Gitterschwingungen wird für wichtige Phasenübergänge in der Leitfähigkeit verantwortlich gemacht. Elektron-Elektron-Wechselwirkungen, vermittelt über die gemeinsamen Gitterschwingungen, sind eine vermutete Ursache der Hochtemperatur-Supraleitung.

Rene Gerritsma wird in seinem Projekt Kristalle aus Ytterbium-Ionen – als Gitter von Rumpfatomen – und ein ultrakaltes Gas aus Lithium-Atomen – als Fermi-Gas der Elektronen – kontrolliert wechselwirken lassen und damit ein Modellsystem zum genaueren Verständnis eines Festkörpers aufbauen. Der Fokus liegt darauf, erstmals tief in das ultrakalte Regime vorzustoßen, wo Quanteneffekte dominieren. Die Quanteninformationsverarbeitung bietet die Möglichkeit, die Ionen als Sensor für die Eigenschaften der Atome zu nutzen und selbst einzelne Atome nachweisen zu können.

Rene Gerritsma studierte Physik an der Universität Groningen in den Niederlanden und promovierte an der Universität von Amsterdam. Im Anschluss war er als Postdoc am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck. Seit Ende 2011 arbeitet er als Wissenschaftler in der Gruppe Quanten-, Atom- und Neutronenphysik (QUANTUM) am Institut für Physik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Der ERC-Preis ermöglicht es ihm, seine eigene Forschungsgruppe aufzubauen. Gerritsmas experimentelle Arbeiten in der Arbeitsgruppe QUANTUM werden flankiert von einer Zusammenarbeit mit dem Theoretiker Prof. Dr. Walter Hoffstetter an der Goethe-Universität Frankfurt, mit einem Bezug zum Sonderforschungsbereich Transregio 49: "Systeme kondensierter Materie mit variablen Vielteilchenwechselwirkungen".