"Juwel in der rheinland-pfälzischen Forschungslandschaft"
(PM Mainz, 07. März 2007) Doris Ahnen, Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur, ist beeindruckt von der weltweit einmaligen Anlage zur Beschleunigung von Elektronen des Instituts für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Dies ist ein Juwel in der rheinland-pfälzischen Forschungslandschaft“, sagte die Ministerin, die heute dem Institut einen Besuch abstattete. In sechsjähriger Bauzeit wurde der bestehende Elektronenbeschleuniger – das Mainzer Mikroton (MAMI) – mit einer vierten Stufe versehen. Damit gelang es, die Energie des Teilchenstrahls von 855 auf 1.500 Megaelektronenvolt nahezu zu verdoppeln. Ein Erfolg, der in der Fachwelt weltweit für Aufsehen sorgte und zu dem nun Ministerin Ahnen das Wissenschaftlerteam um den geschäftsführenden Direktor des Instituts für Kernphysik, Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Arends, und den MAMI-Betriebsleiter Dr. Andreas Jankowiak beglückwünschte.
Universitätspräsident Jörg Michaelis, Foto: Rüdiger Mosler |
Das Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat am Freitag, 23. Februar, mit dem routinemäßigen Experimentierbetrieb der neuen, vierten Beschleunigerstufe des Mainzer Mikrotron begonnen. Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme, die Ende Dezember 2006 stattfand, konnte bereits jetzt vom Testbetrieb mit nur geringer Strahlleistung zum Experimentierbetrieb mit zehn Mikroampere Strahlstrom bei einer Energie von 1.500 Megaelektronenvolt, entsprechend 15kW Leistung in einem haarfeinen Elektronenstrahl übergegangen werden. „Dass nach nur wenigen Tagen Testbetrieb diese komplexe Anlage bereits jetzt mit hoher Leistung rund um die Uhr für kernphysikalische Messungen zur Verfügung steht zeigt, dass wir in den letzten Jahren bei Planung und Aufbau dieser Anlage gute Arbeit geleistet haben“, sagt Dr. Andreas Jankowiak, Betriebsleiter des Elektronenbeschleunigers „Mainzer Mikrotron“ (MAMI). „Mit diesem weltweit einmaligen Beschleuniger steht uns nun ein hochenergetischer Strahl für völlig neue Experimente in der Kern- und Teilchenphysik zur Verfügung“, führt Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Arends, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kernphysik, aus.
Für Wissenschaftsministerin Ahnen belegt dieser herausragende Erfolg die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Rheinland-Pfalz. „Unsere Hochschulen sind für Studierende aus dem In- und Ausland auch deshalb attraktiv, weil dort in vielen Bereichen auf hohem und höchstem Niveau geforscht wird. Die Leistungen des Instituts für Kernphysik belegen dies besonders eindrucksvoll“, sagte Ahnen. Die Landesregierung werde sich mit großem Nachdruck dafür engagieren, das Forschungspotenzial der rheinland-pfälzischen Universitäten und Fachhochschulen weiterhin gezielt zu fördern, erklärte die Ministerin.
In sechsjähriger Bauzeit wurde in Mainz der bestehende Elektronenbeschleuniger für rund 12,5 Millionen Euro mit einer vierten Stufe versehen und damit die Energie des Teilchenstrahls von 855 auf 1.500 Megaelektronenvolt (MeV) nahezu verdoppelt. Die Konstruktion ist so angelegt, dass die bislang außerordentlich hochwertige Strahlqualität erhalten bleibt. Damit können die Kernphysiker, die für ihre Forschungen aus aller Welt ans Mainzer Mikrotron kommen, noch tiefer ins Innere der Materie blicken.
An der Mainzer Universität wird bereits seit Ende der 70er-Jahre eine Beschleunigeranlage zur Erzeugung eines kontinuierlichen Elektronenstrahls, realisiert als Kaskade von sogenannten Rennbahn-Mikrotronen betrieben. Anfang der 90er-Jahre kam als dritte Stufe das weltweit größte Rennbahn-Mikrotron hinzu. Dessen hervorragende Strahlqualität erlaubte die Durchführung von Experimenten, die die Mainzer Kern- und Teilchenforschung an die Weltspitze brachte. Die Experimente lieferten vor allem Grundlagenwissen über den Aufbau unserer Materie, besonders der Protonen und Neutronen. Zu den Höhepunkten der MAMI-Forschungen gehören neue Aussagen über die Ladungsverteilung in Neutronen und Untersuchungen über Pionen, leichte Teilchen, die aus einem Quark und einem Antiquark aufgebaut sind. Mit der vierten Beschleunigerstufe, MAMI C genannt, können künftig noch ganz andere Teilchen erforscht werden, vor allem die schwereren Mesonen und die Hyperonen, die ein sogenanntes „Strange Quark“ enthalten und mit der bisher in Mainz zur Verfügung stehenden Elektronenenergie nicht erzeugt werden konnten. Davon erwarten sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse über den Aufbau der Nukleonen, den Bausteinen des Atomkerns, und die darin wirksamen fundamentalen Kräfte.
Um eine Energie von 1.500 Megaelektronenvolt zu erreichen, wird der Elektronenstrahl zunächst durch die „alte“ Anlage, deren drei Stufen jeweils aus zwei Dipolmagneten und einem Linearbeschleuniger bestehen, auf 855 MeV gebracht. Indem der Strahl durch wiederholte Ablenkung mit Hilfe der Magneten immer wieder durch die gleiche Linearbeschleunigerstruktur geführt wird, gewinnen die Elektronen beständig an Energie. Mit den erreichten 855 MeV tritt der Strahl dann in die neue Anlage, ein harmonisches doppelseitiges Mikrotron (HDSM), ein. Dieses einmalige Konzept basiert auf Entwicklungsarbeiten der Beschleunigergruppe des Instituts für Kernphysik unter der damaligen Leitung von Dr. Karl-Heinz Kaiser, bei der vier Magnete, jeweils 250 Tonnen schwer, den Strahl ablenken und zwei Linearbeschleuniger mit verschiedenen Frequenzen elektrische Felder erzeugen, durch die der Strahl seine Energie gewinnt. „Wir arbeiten hier mit der Standardfrequenz von 2,45 Gigahertz, das entspricht der Frequenz einer haushaltsüblichen Mikrowelle. Zusätzlich haben wir den weltweit ersten 4,90-Gigahertz-Beschleuniger hier entwickelt und eingebaut“, erläutert Jankowiak. Auf seinem Weg durch die kleinen Kupfer- und Aluminiumröhrchen erreicht der Strahl schon nach wenigen Metern nahezu Lichtgeschwindigkeit und gewinnt anschließend durch die weitere Energiezufuhr an Masse. Ist das Ziel erreicht, haben die Elektronen ungefähr sieben Kilometer zurückgelegt.
„Wir haben eine phantastische Strahlqualität: Alle Elektronen haben am Ziel nahezu die gleiche Energie und sind in einem feinen Strahl von nur einigen zehntel Millimetern Durchmesser gebündelt“, erklärt Arends. „Das ist eine wichtige Voraussetzung für Präzisionsexperimente.“ In diesem Energiebereich von 1.500 MeV ist MAMI C die Referenzanlage weltweit und in den kommenden Jahren wird diese in- und ausländischen Wissenschaftler für neue, spannende Experimente in der Kern- und Teilchenphysik für 6.500 Stunden im Jahr zur Verfügung stehen.