Quantenrauschen erschließt Physikern Informationen über den ursprünglichen Zustand von Atomen
7.12.2006
Störendes Rauschen umgibt uns alltäglich in unserer Umwelt. So tritt es zum Beispiel bei schlechtem Handyempfang oder beim Flimmern des Fernsehers auf. In technischen Anwendungen versucht man dieses Rauschen so weit wie möglich zu vermeiden. Doch selbst wenn alle Störeinflüsse beseitigt sind, verbleibt nach den Gesetzen der Quantenphysik ein gewisses Quantenrauschen, das prinzipiell nicht umgangen werden kann. Physiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz konnten dieses Quantenrauschen in ultrakalten atomaren Gaswolken nun nutzbar machen und zeigen, dass subtile Verbindungen in diesem Rauschen bestehen können, aus denen sich Informationen über einen früheren Zustand perfekter Ordnung der Atome gewinnen lassen. Die Ergebnisse der Mainzer Forscher werden in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins Nature vorgestellt. Die Forschungsergebnisse eröffnen den Physikern der Arbeitsgruppe von Prof. Immanuel Bloch einen neuen Weg, komplexe quantenmechanische Systeme aus vielen Teilchen zu untersuchen. Ein tieferes Verständnis dieser Systeme kann unter anderem dazu beitragen, die Rätsel der Hochtemperatur-Supraleitung zu lösen.
Die Forscher nutzen dabei das in vielen Bereichen eingesetzte Verfahren der Korrelationsanalyse. In den Wirtschaftswissenschaften werden beispielsweise Aktienkurse verschiedener Zeiten miteinander in Beziehung gesetzt, um Trends zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. Der Kurs einer einzelnen Aktie hängt dabei von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, von denen die meisten für jede Aktie spezifisch sind. Werden jedoch Korrelationen - also ähnliche Entwicklungen - zwischen den Kursen unterschiedlicher Aktien nachgewiesen, so kann dies auf „versteckte“ gemeinsame Faktoren, zum Beispiel steigende Rohstoffpreise, hinweisen. Statt Beziehungen zwischen Aktienwerten analysieren die Mainzer Forscher - basierend auf einem Vorschlag von Physikern der Harvard University - das Quantenrauschen in Bildern atomarer Gaswolken und konnten damit Informationen über den ursprünglichen Zustand der Atome gewinnen.
Für ihr Experiment kühlen die Mainzer Wissenschaftler dünne Wolken fermionischer Atome auf extrem niedrige Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt, der bei etwa minus 273 Grad Celsius liegt, ab. Anschließend werden die Teilchen in einen künstlichen Kristall aus Licht transferiert, welcher durch die geschickte Überlagerung mehrerer Laserstrahlen erzeugt wird. Für die Atome bildet der Lichtkristall eine regelmäßige Anordnung mikroskopischer Töpfchen, in denen sie gefangen werden. Aufgrund ihrer niedrigen Temperatur streben die Atome in den Bereich kleinster potentieller Energie im Zentrum des Kristalls. Da es sich bei den Teilchen um „individualistische“ Fermionen handelt, kann jedes „Potentialtöpfchen“ nur ein Atom aufnehmen. Dieses Verhalten ist allein auf das Pauli-Prinzip - eine fundamentale Quanteneigenschaft - zurückzuführen. Als Konsequenz reihen sich die Atome entlang der Kristallachsen wie an Perlenschnüren auf und bilden eine perfekt geordnete mikroskopische Struktur.
Sobald das Laserlicht abrupt abgeschaltet wird, löst sich der Kristall auf und die Atome können sich frei im Raum ausbreiten. Durch die individuelle Bewegung der einzelnen Atome geht ihre ursprüngliche Ordnung verloren. Nach einer kurzen Zeit hat sich die Atomwolke soweit ausgedehnt, dass sie photographiert werden kann. Die Korrelationen innerhalb des Rauschens hängen nun entscheidend von der Natur der Teilchen ab.
In der Quantenphysik unterscheidet man zwischen zwei Klassen von Teilchen: Bosonen und Fermionen. Die Teilchen aus den jeweiligen Klassen weisen ein fundamental unterschiedliches „Sozialverhalten“ auf. Während Bosonen geselliger Natur sind und sich bevorzugt am selben Ort aufhalten, sind Fermionen strikte Einzelgänger. Sie folgen dabei dem Pauli-Prinzip, welches eine mehrfache Besetzung desselben Quantenzustandes durch identische Teilchen verbietet. So sind zum Beispiel die Elektronen in der Hülle eines Atoms fermionische Teilchen. Wie die untersten Sprossen einer Leiter werden daher die niedrigsten Umlaufbahnen in der Hülle des Atoms von jeweils nur einem Elektron besetzt. Insbesondere erklärt sich aus diesem Prinzip, warum Materie nicht einfach in sich zusammenstürzt. Neben den fermionischen Grundbausteinen des Atoms (Elektronen und Nukleonen) kann auch das Atom selbst als zusammengesetztes Teilchen wiederum ein Fermion sein.
Im Jahr 1956 führten die Pioniere der Quantenoptik Robert Hanbury Brown und Richard Twiss ein Aufsehen erregendes Experiment durch, in welchem sie Korrelationen zwischen Photonen (Lichtteilchen) mit zwei Detektoren in einem bestimmten Abstand nachwiesen. Dabei beobachteten sie zum ersten Mal das für bosonische Teilchen charakteristische „Bunching“, das bevorzugte gemeinsame Auftreten. Die beiden Forscher konnten diese Rauschkorrelationen nutzen, um Informationen über Eigenschaften der Lichtquelle, in diesem Fall zum Beispiel den Durchmesser weit entfernter Sterne, zu erhalten.
Fünfzig Jahre später gelingt bei dem Mainzer Experiment das Pendant mit der erstmaligen Beobachtung von fermionischem Anti-Bunching an nicht wechselwirkenden Atomen. Wird ein fermionisches Atom an einem Ort nachgewiesen, so kann in bestimmten Abständen kein weiteres Atom nachgewiesen werden. Diese Abstände sind durch die ursprüngliche regelmäßige Anordnung der Atome im Lichtkristall bestimmt. Mit der Beobachtung dieses fundamentalen Quanteneffektes demonstrieren die Mainzer Wissenschaftler eine Methode, die zukünftig für den Nachweis komplexerer Ordnungen der Atome eingesetzt werden kann. So können unter anderem Zustände untersucht werden, die als Schlüssel zur Hochtemperatur-Supraleitung diskutiert werden.