JGU-Teilchenphysiker Harvey Meyer forscht zu Materie, die aus der starken Wechselwirkung von Quarks und Gluonen nach dem Big Bang entstanden ist
28.02.2018
Der Teilchenphysiker Prof. Dr. Harvey Meyer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erhält eine Förderung des Europäischen Forschungsrats, um mithilfe von hochkomplexen Rechnungen grundlegende Fragen der Physik zu klären. Dazu gehört unter anderem die Frage, ob sterile Neutrinos als Kandidaten für die Dunkle Materie in Frage kommen. Ausgangspunkt für die Berechnungen ist die starke Wechselwirkung, eine der vier grundlegenden Kräfte, die für die Bindung der Quarks und Gluonen im Atomkern verantwortlich ist. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council – ERC) stellt für das Projekt "Strong-interaction matter coupled to electroweak probes and dark matter candidates (SIMDAMA)" in den kommenden fünf Jahren 1,7 Millionen Euro bereit. Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU.
Harvey Meyer ist seit April 2014 PRISMA-Professor für Theoretische Teilchenphysik. In dem geförderten Projekt wird es unter anderem darum gehen, mithilfe von computergestützten Berechnungen, die auf der Theorie der starken Wechselwirkung aufbauen, die Suche nach geeigneten Kandidaten für die Dunkle Materie voranzubringen.
Sichtbare Materie macht nur etwa 15 Prozent der gesamten Materie im Universum aus. Der Rest ist Dunkle Materie, die nicht strahlt und daher für uns unsichtbar ist. "Man weiß aber aus astrophysikalischen Beobachtungen, dass es Dunkle Materie gibt", so Harvey Meyer. Dunkle Materie unterliegt – wie sichtbare Materie auch – der Schwerkraft, sie klumpt zusammen und beeinflusst dadurch die Bewegung von Galaxien und Galaxienhaufen. Bislang ist nicht bekannt, aus was genau sich Dunkle Materie zusammensetzt. Als ein Kandidat gelten sterile Neutrinos, hypothetische Teilchen, deren Existenz bislang noch nicht nachgewiesen wurde.
Berechnung der Gesamtenergie von sterilen Neutrinos
Meyer möchte im Rahmen der ERC-Förderung berechnen, wie viele sterile Neutrinos möglicherweise im frühen Universum erzeugt worden sind, zu einem Zeitpunkt, als Quarks und Gluonen die am häufigsten vorkommenden Teilchen waren. Die Gesamtenergie dieser sterilen Neutrinos wäre dann mit der bekannten Energie der Dunklen Materie zu vergleichen. "Ist die Gesamtenergie der sterilen Neutrinos höher als die der Dunklen Materie, dann kommen diese Teilchen für die Theorie der Dunklen Materie mit großer Sicherheit nicht in Frage", so Meyer. Andererseits, falls die Anzahl der sterilen Neutrinos geringer ausfällt, bestünde die Möglichkeit, dass Dunkle Materie nicht nur aus diesem einen Teilchen besteht, sondern sich vielleicht aus mehreren Bestandteilen zusammensetzt.
Problematisch ist allerdings, dass sich sterile Neutrinos nicht so einfach erfassen lassen, weil sie der Hypothese zufolge nur der Schwerkraft unterliegen, nicht aber den anderen drei fundamentalen Grundkräften der Physik. Meyer stützt sich bei seinen Arbeiten auf die Gitter-Quantenchromodynamik, eine der wichtigsten Methoden, um das Kräftespiel zwischen Quarks und Gluonen zu erforschen. Im Falle der sterilen Neutrinos geht Meyer für die Berechnungen von der Annahme aus, dass sie in die drei bekannten Neutrino-Arten oszillieren können, das sind Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino, die selbst mit den Quarks über die schwache Wechselwirkung interagieren.
Photonen als Cross-Check für die Berechnungen
Hinzukommt ein weiterer Aspekt, der mit ganz ähnlichen Berechnungen verfolgt werden soll: die Erzeugung von Photonen im Quark-Gluon-Plasma. Ein solches Plasma, wie es in den ersten Mikrosekunden nach dem Big Bang existiert hat, kann heute durch die Kollision von Schwerionen wie beispielsweise Blei oder Gold in Beschleunigern erzeugt werden. Dabei entstehen Lichtteilchen, die im Experiment recht gut gemessen werden können. "Mit unseren Methoden können wir die Produktion der Photonen berechnen und dann mit den Daten aus den Experimenten vergleichen. Falls die Angaben übereinstimmen, wäre dies ein starker Hinweis dafür, dass unsere Berechnungen zu den sterilen Neutrinos ebenfalls korrekt sind", so Meyer.
Die Berechnung der Produktion von sterilen Neutrinos wie auch der Photonen durch das Quark-Gluon-Plasma erfolgt mit aufwendigen Monte-Carlo-Simulationen auf Hochleistungsrechnern. Hierfür steht den Kernphysikern an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz unter anderem die Anlage MOGON II zur Verfügung. "Das Dunkle-Materie-Puzzle, die Parameter der Neutrino-Oszillationen und Tests des Standardmodells gehören zu den Top-Prioritäten der fundamentalen Physik", fasst Harvey Meyer zusammen. "Unser Projekt bietet die Chance, zu allen drei Themen maßgebliche Beiträge zu leisten."
Harvey Meyer wurde im April 2010 an der JGU zum Juniorprofessor für Theoretische Kern- und Hadronenphysik ernannt und im April 2014 zum Professor für Theoretische Teilchenphysik am Exzellenzcluster PRISMA und am Fachbereich Physik, Mathematik und Informatik berufen. Sein Forschungsinteresse gilt den computergestützten Methoden zur Berechnung dynamischer Eigenschaften stark wechselwirkender Teilchen.
Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU, die an Wissenschaftler vergeben wird. Der Europäische Forschungsrat fördert damit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel zwischen 7 und 12 Jahre nach der Promotion, wenn das eigene Forschungsprogramm ausgebaut wird. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Exzellenz müssen die Antragsteller den bahnbrechenden Ansatz ihres Projekts und seine Machbarkeit nachweisen, um die Förderung zu erhalten.