20 Jahre Mainzer Mikrotron

Ausbau der vierten Beschleunigerstufe bis Ende 2005

Spitzenforschung in der Kern- und Teilchenphysik: Am Elektronenbeschleuniger der Johannes Gutenberg-Universität, dem Mainzer Mikrotron (MAMI), wird seit 20 Jahren auf international höchstem Niveau geforscht. Entdeckungen über den Aufbau der kleinsten Teilchen unserer Materie brachten die MAMI-Wissenschaftler an die Weltspitze. 20 Jahre Mainzer Mikrotron sind ein Grund, Bilanz zu ziehen, das Erreichte zu würdigen und das Kommende in den Blick zu nehmen. Zumal ein Generationenwechsel am Mainzer Mikrotron erfolgt: Sechs leitende Wissenschaftler des Instituts für Kernphysik scheiden aus. Ein personeller Wechsel, der mit einer inhaltlichen Neuausrichtung durch die Inbetriebnahme der vierten und letzten Ausbaustufe des Elektronenbeschleunigers zusammenfällt. Bei einem Symposium "20 Jahre Physik am Mainzer Mikrotron MAMI" werden vom 20. bis 22. Oktober renommierte Wissenschaftler – die Referenten kommen unter anderem vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und dem Jefferson Lab in Virginia – über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Forschung am Mainzer Mikrotron sprechen.

Die Geschichte des Elektronenbeschleunigers ist eine 20-jährige Erfolgsgeschichte. Wissenschaftler kommen aus der ganzen Welt, um am Mainzer Mikrotron zu experimentieren. Die Experimente liefern vor allem Grundlagenwissen über den Aufbau unserer Materie, besonders der Protonen und Neutronen. Sie sind aber auch für Anwendungen etwa in der Röntgentechnik oder in der Magnetresonanztomographie mit Helium-3 nutzbar. Die unterirdische Forschungsanlage – Aufzüge führen etwa zehn Meter tief unter die Erde – besteht aus einer weltweit einzigartigen Kaskade von Rennbahn-Mikrotronen. Hierbei wird der Elektronenstrahl durch wiederholte Ablenkung mit Hilfe von Magneten immer wieder durch die gleiche Linearbeschleunigerstruktur geführt. Dadurch gewinnen die Elektronen beständig an Energie. Das besondere Merkmal von MAMI ist die außerordentlich hohe Qualität des erzeugten Elektronenstrahls. Zwar wird der Elektronenbeschleuniger mit einer Energie von maximal 850 Megaelektronenvolt (MeV) betrieben. "Damit können wir nur Teilchen wie Nukleonen oder Pionen, aber keine Quarks sehen", erläutert Univ.-Prof. Dr. Thomas Walcher, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kernphysik. "Der Strahl ist allerdings sehr intensiv und erlaubt extrem genaue Messungen."

Am Ende seiner Bahn trifft der Elektronenstrahl auf den Gegenstand der kernphysikalischen Forschung: den Atomkern. Er besteht aus Nukleonen, die als Protonen oder Neutronen vorliegen können und die selbst wiederum aus noch kleineren Quarks aufgebaut sind. Quarks werden als punktförmig angenommen und gelten als unteilbar, somit als elementare Bausteine. "Wir können hier Protonen oder Neutronen besonders gut als ganze Teilchen untersuchen und dann Rückschlüsse auf die vorhandenen Quarks ziehen", erläutert Walcher. Prallt nun ein Elektron auf den Atomkern, so kann das Ergebnis der Kollision gemessen werden. Hierfür steht eine Anlage aus drei magnetischen Spektrometern zur Verfügung. Damit können - auch dies ist einmalig in der Welt - gleichzeitig drei geladene Reaktionsprodukte hochpräzise nachgewiesen werden. Jedes der drei Spektrometer ist etwa 300 Tonnen schwer, das größte ist 13 Meter hoch.

Die Experimente am Mainzer Mikrotron ließen die Wissenschaftler tiefer in das Innerste der Atome blicken und lieferten international beachtete Ergebnisse. Zu den Meilensteinen auf dem 20-jährigen wissenschaftlichen Weg gehören neue Aussagen über die Ladungsverteilung – innen positiv und außen negativ – bei Neutronen. "Das konnten wir am MAMI als Erste mit einer befriedigenden Genauigkeit messen", resümiert Walcher. "Mit unseren Experimenten auf diesem Gebiet sind wir weltweit führend." Der Konkurrenz ebenfalls um einige Nasenlängen voraus waren die MAMI-Wissenschaftler bei der Untersuchung von Pionen, leichten Teilchen, die aus zwei Quarks aufgebaut sind. Mit der Messung der Kräfte, die zwischen den beiden Quarks wirken, betraten die Kernphysiker experimentelles Neuland. Bei der Erforschung des Atomkerns konnte, so ein weiteres Beispiel, in Mainz erstmals die Korrelation von Nukleonen im Kern mit großer Genauigkeit festgestellt werden.

Zeichen des Erfolgs sind zahlreiche Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften, vor allem aber die positive Beurteilung und anhaltende finanzielle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie hat, und dies ist selten, zwei Sonderforschungsbereiche (SFB) hintereinander mit einer Laufzeit von insgesamt 26 Jahren am Institut für Kernphysik eingerichtet. Der aktuelle SFB "Vielkörperstruktur stark wechselwirkender Systeme" brachte beispielsweise in den ersten beiden Förderperioden von 1999 bis 2004 rund 200 Publikationen in international führenden Zeitschriften hervor.

Voraussetzung und Ursache des Erfolgs sind die hervorragende Ausstattung der Anlage – die Investitionen in die ersten drei Ausbaustufen betrugen 100 Millionen Euro aus vorwiegend öffentlichen Mitteln –, die enge Kooperation und Zusammenarbeit mit anderen Instituten der Universität und Forschungseinrichtungen im In- und Ausland sowie der hohe persönliche Einsatz und die Integration sämtlicher Mitarbeiter, sowohl der externen Gäste als auch der Angehörigen des Instituts, vom Studierenden über den Techniker bis zum Professor. "MAMI läuft über 6.500 Stunden im Jahr, also 75 Prozent der Stunden eines Jahres. Das ist eine außerordentliche Effizienz und nur mit hohem Arbeitseinsatz zu bewerkstelligen", so der Geschäftsführende Direktor des Instituts.

Nun erhält das Mainzer Mikrotron für rund 15 Millionen Euro eine neue Beschleunigerstufe. Ende des Jahres wird diese vierte Stufe, MAMI C genannt, den Betrieb aufnehmen und den Elektronenstrahl auf eine Energie von 1.500 MeV bringen. Dazu wird in einem doppelseitigen Mikrotron der Elektronenstrahl durch zwei parallel angeordnete Linearbeschleuniger geschickt. Die Umlenkung des Strahls erfolgt durch zwei Magnetpaare. Für die Kernphysiker in Mainz bricht damit ein neues Forschungszeitalter an. "MAMI C", so Walcher, "eröffnet uns Perspektiven für die kommenden zehn Jahre." Es können damit ganz andere Teilchensorten untersucht werden: andere Mesonen und Baryonen, Strange-Teilchen, Hyperonen, Kaonen und Eta-Teilchen. Parallel dazu soll in der theoretischen Physik eine neue Art von Model, die Gittereichtheorie, etabliert werden. "Es gelingt uns heute ganz gut, immer tiefer in die Materie einzudringen und sie bis in die kleinsten Teilchen zu verstehen. Umgekehrt aber schaffen wir es nicht, aus den einfachsten Gesetzen eine Synthese zu bilden. Das heißt wir wissen nicht, wie man aus den einfachen Bausteinen und Kräften komplexe Systeme erzeugt. Hier liegt die zukünftige Herausforderung."

18.10.2005